„Von der Stange in den Abgrund?“

In den letzten zehn Jahren hat sich die Escape Room-Branche von einem Nischenmarkt zu einer beliebten Freizeitaktivität entwickelt. Doch mit dem Wachstum kamen auch standardisierte Geschäftsmodelle, insbesondere der Trend, schlüsselfertige Konzepte von spezialisierten Herstellern aus dem günstigen Osten der Erdkugel einzukaufen. Ein Segen für die einen, ein Begräbnis für die anderen? Eine Meinung eines Escape Room Enthusiasten.

Das Geschäft mit den Fertigkonzepten

Fertigkonzepte – also komplette Escape Room-Erlebnisse, die man inklusive Story, Technik, Kulisse und manchmal sogar Marketingmaterial kaufen kann – sind für Betreibende verlockend: keine langwierige Entwicklung, kalkulierbare Kosten, vorgefertigtes Design. Viele Betreibende, die jetzt in den Markt einsteigen wollen, greifen derzeit auf diese Konzepte zurück, um schnell und effizient auf den Markt zu kommen.

Diese Konzepte mit bewährten und getesteten Rätseln sind oft innerhalb weniger Wochen einsatzbereit und benötigen kaum eigenes Knowhow, da sie oft sogar vom Verkäufer am gewünschten Standort aufgebaut werden. Mit dem gleichen Budget für ein hochwertiges, in der Schweiz selbst entwickeltes Spiel können gleich mehrere dieser preisgünstigen Fertigkonzepte eingekauft werden, was diese Lösung für Betreibende, die den rollenden Rubel suchen, sehr attraktiv macht.

Gerade in einem Hochlohnland wie der Schweiz, wo kreative Eigenentwicklungen mit hohen Personal-, Material- und Raumkosten verbunden sind, ist es eine gefährliche Konkurrenz, wenn Arbeiter aus dem Ausland für wenige Euro in der Stunde diese Arbeiten erledigen. Immer mehr kreative Anbieter beklagen, dass Eigenentwicklungen wirtschaftlich kaum mehr konkurrenzfähig sind. Die Gründe dafür sind vielfältig:

  • Hohe Entwicklungskosten: Kreativität ist in der Schweiz teuer. Architekten, Bühnenbildner, Gamedesigner und Techniker kosten viel – oft zu viel.
  • Lange Amortisationszeit: Selbst bei ausverkauften Spielen dauert es Jahre, bis sich ein einzelnes Eigenkonzept amortisiert hat.
  • Langsamer Roll-out: Während Anbieter mit fertigen Konzepten in kürzester Zeit mehrere Räume eröffnen können, benötigt ein Schweizer Kreativ-Team oft ein Jahr und mehr pro Spiel.

Zu diesen strukturellen Nachteilen kommt ein weiterer, nicht zu unterschätzender Effekt hinzu:

Marketing schlägt Produkt – Das iPhone-Phänomen in der Escape Room-Welt

Anbieter, die kostengünstige, fertige Räume „von der Stange“ kaufen und oft mehrere Räume gleichzeitig eröffnen können, sparen nicht nur bei der Entwicklung, sondern gewinnen ein gefährliches Ass im Ärmel: mehr Budget für Marketing.

Während kreative Anbieter Monate und zehntausende Franken in Konzept und Umsetzung investieren, nutzen andere ihre Ressourceneffizienz für Marketing, Social Media, Ads, SEO und Werbepartnerschaften. Das Resultat: Räume mittlerer Qualität erreichen ein breites Publikum durch ihr Marketing, während herausragende Spiele im Schatten bleiben, weil sie ihr Budget ins Spiel buttern. Das erinnert stark an das iPhone: Nicht unbedingt das beste Produkt gewinnt – sondern das, das besser vermarktet wird.

Die Folge:

  • Verdrängung echter Kreativ schaffenden
  • Übersättigung des Marktes mit mittelmässigen, austauschbaren Erlebnissen
  • Abnehmende Differenzierung zwischen Anbietern
  • Geringere Risikobereitschaft für Innovationen

Die Problematik geht aber noch tiefer – bis ins Herz dessen, warum ein Spiel überhaupt entwickelt wird.

Spiel aus Leidenschaft – oder nur aus Kalkül?

Ein oft vernachlässigter Aspekt bei eingekauften Konzepten ist die ursprüngliche Motivation hinter der Umsetzung. Während kreative Räume oft aus einer Idee oder der Begeisterung für eine Geschichte oder Mechanik entstehen, werden viele vorgefertigte Spiele aus einem anderen Grund gebaut: wegen des Geldes und nicht wegen dem Erlebniss.

Diese Spiele könnten oft besser sein: mit Anpassungen, liebevollen Details und individuellen Inszenierungen. Viele Konzepte haben sogar das Potenzial dazu. Aber genau daran hapert es oft: am Interesse, an der Leidenschaft, an der Bereitschaft die Zeit und Energie in die Verfeinerung zu investieren. Der Aufwand scheint zu gross für einen Effekt, den nur „wenige“ Spieler (= Enthusiasten wie du und ich) wirklich erkennen und schätzen würden.

Das Ergebnis: Viele dieser Räume verkommen zu seelenlosen Produkten. Funktional, aber ohne Herz. Solide, aber austauschbar. Für den Durchschnittsspieler vielleicht „gut genug“ – für den Enthusiasten ein Verlust.

Eine kritische Stimme: Liegt die Schuld wirklich bei den Konzepten?

Liegt das Problem wirklich im Einkauf fertiger Konzepte? Oder liegt das Problem tiefer?

Fehlt es den kreativen Anbietern an unternehmerischer Strategie? Ist wirtschaftliches Denken nicht legitim – auch im Freizeitbereich? Und: Muss jeder Raum ein innovatives Meisterwerk sein – oder darf es auch seichte Unterhaltung geben?

Während viele Betreibende von schlüsselfertigen Konzepten eher aus der unternehmerischen Ecke kommen und Enthusiasten, die Konzepte in Eigenregie errichten, häufig aus dem Handwerk kommen, fehlt es ihnen möglicherweise auch an unternehmerischem Know-how. Dadurch könnten sie Schwierigkeiten haben, ihre Escape Rooms erfolgreich zu vermarkten. Hinzu kommt, dass durch die deutlich längere Konzeptionsphase nur ein Bruchteil des Umsatzes generiert werden kann.

Dass diese schlüsselfertigen Konzepte funktionieren, hat sich bereits gezeigt. Sie schiessen derzeit wie Pilze aus dem Boden und erfreuen sich beim breiten Publikum grosser Beliebtheit, während viele der eigentlichen Kreativen zu kämpfen haben.

Schuld ist aber nicht (nur) der Betreibende solcher Escape Rooms

Ohne den Konsumenten, der das Produkt konsumiert, hätten auch sie keinen Erfolg. Wir, die wir uns von offensiver Werbung oder bekannten Filmnamen einfangen lassen und bei diesen Anbietern spielen, tragen dazu bei, dass es die wirklich Kreativen immer schwerer haben und der Markt mit Durchschnittserlebnissen überschwemmt wird und weniger wirklich gute Konzepte den Weg auf den Markt finden, weil sie von vornherein wissen, dass sie kaum konkurrenzfähig sein können.

Deshalb möchte ich mit diesem Beitrag die Konsumenten für dieses Thema sensibilisieren! Ich möchte niemandem auf die Finger klopfen oder ihn tadeln, ich wünsche mir nur, dass auch du dir Gedanken darüber machst, wen und warum du ihn mit deinem Geld unterstützt. Wenn du dann hinter deiner Entscheidung stehen kannst, dann hast du mit Sicherheit die richtige Entscheidung getroffen!

Wenn Escape Rooms mehr als nur ein Freizeitprodukt sein sollen, braucht es Leidenschaft – egal ob für das eigene Konzept oder den fertigen Bausatz. Die Branche braucht mehr Transparenz, bewusste Spielende und Raum für beide Wege. Nur so bleibt der Markt lebendig – und Escape Rooms das, was sie sein sollen: Abenteuer mit Seele, keine Produkte von der Stange.

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